Art on the Dam |
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Werner Bloch Ein doppeltes Spektakel in der kalifornischen Wüste: hier entfesselte Musik und ein Publikum im narzisstischen Delirium – dort grandiose Kunst zum Anfassen vor spektakulärer Kulisse NEUE ZÜRCHER ZEITUNG 13-05-23 |
Das Musikfestival im Coachella Valley gehört zu den grössten seiner Art – und zu den teuersten. Dafür ist die atemberaubende Land-Art-Ausstellung umsonst zu sehen.
Alljährlich im Frühling bricht im sonnendurchfluteten, malerischen Coachella Valley das Festivalfieber aus. Täglich strömen rund 120 000 Partygäste auf dem ehrwürdigen Rasen des Empire Polo Club im Örtchen Indio zusammen, um ihre Ohren einem dreitägigen Stresstest zu unterziehen. 150 Acts auf acht Bühnen an zwei Wochenenden – das geht nicht ohne Kakofonie und logistisches Chaos. Der rasende Stillstand von Indio beginnt bereits mit der Anfahrt. Indio ist von der Polizei so gut wie abgeschirmt, hier geht kaum etwas hinein – die Suche nach dem teuer reservierten Parkplatz erweist sich als Abenteuer eigener Art, das Verkehrsleitsystem als Höllentrip um die neun Kreise von Dantes Inferno. Offenbar hat niemand ein Interesse daran, noch mehr Besucher willkommen zu heissen. Coachella spielt in einer eigenen Liga, beginnend mit den Preisen. Teuer ist auf diesem Festival alles. Vom Plastikbecher Bier bis zu den rund 600 Euro für jedes der beiden Wochenenden. Mit Essen, Parkplatzgebühren und Zuschlägen aller Art landen viele dann rasch bei 2000 Dollar – mehr als für eine kleine Luxusreise ins nur eineinhalb Stunden entfernte Mexiko. Ein Pop-Festival für Besserverdienende? In Europa ist so etwas kaum vorstellbar. Musikalisch wird Coachella seinem Ruf ohnehin nicht mehr gerecht. Immer weniger Stars reisen an, von der Bühne plätschert eher Belangloses oder schrill Aufgedrehtes wie von den Altstars von Blondie, deren «Call Me» trotz Verschleisserscheinungen immer noch juvenile Resonanz erweckt. Frank Ocean hat sich in Coachella mit einem desaströsen Act praktisch die Karriere verdorben. Und Blackpink aus Seoul, die angesagte K-Pop-Gruppe mit vier jungen Models, die eher Avataren als Menschen gleichen, liefert eine auf Erotik getrimmte, aber letztlich aseptische Tanzshow zu digital bearbeiteten Stimmen.
Hemmungsloser Narzissmus Das eigentliche und etwas bizarre Spektakel spielt sich in der Masse ab. Musik nimmt in Coachella nur eine Nebenrolle ein. Die meisten Besucher sind von sich selbst ergriffen. Es wird fotografiert und gepostet, was das Zeug hält. Die Instagram-Diktatur führt Regie. Wer sind diese jungen Feiernden, die sich in eine Uniform aus knappen Bikini-Oberteilen, Stiefeln und kurzen Kleidchen quetschen? «Instagram hat die Individualität in den USA zerstört», sagt der Designer Nick Moore am Pool des Saguaro-Hotels in Palm Springs, über das wie über kein anderes Hotel der Welt in sozialen Netzwerken gepostet wird. «Schauen Sie sich um: Alle tragen die gleichen Schuhe, die gleichen T-Shirts, die gleichen Mützen, immer im dreimonatigen Wechsel. Nicht, weil sie es schön finden und ihnen etwas gefällt, sondern einfach, weil sie den Influencern hörig sind.» «Digitale Gefolgschaft» nennt das Christoph Türcke in seinem gleichnamigen Buch, das Phänomen ist natürlich auch in Europa bekannt. Doch kaum irgendwo tobt sich der Narzissmus so hemmungslos aus wie auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, der sich Coachella nennt. Dieser Musikexzess in der kalifornischen Wüste hat nichts Sprengendes und Provozierendes, nicht den Duft von Freiheit, Aufbruch und Abenteuer, die Augenblicke lichtvoller Ekstase und Exzesse, für die früher einmal die Festivalkultur stand. Woodstock ist Lichtjahre entfernt. Wo Jimi Hendrix einmal seine Gitarre verbrannte, scheint heute das matte Licht des digitalen Zeitalters.
Trotzdem hat eine Frühlingsreise ins Coachella Valley bei 35 Grad und null Prozent Luftfeuchtigkeit nichts Frustrierendes. Im Gegenteil, sie erweist sich als Beglückung. Das liegt schon an Palm Springs, dem wichtigsten Ort des Tals, an dem kein Weg vorbeiführt. Eine flache, zauberhafte Stadt, die für ihre Mid-Century-Architektur berühmt ist und eine höhere Dichte an Prominenten aufweist als Hollywood. Denn hier wohnten und wohnen sie alle, von Liz Taylor und Cary Grant bis zu Clark Gable und Daniel Craig, von Frank Sinatra, Jay Z, Brad Pitt bis Leonardo DiCaprio. Der Grund: Hollywoodschauspieler durften sich früher nicht mehr als zwei Autostunden von Los Angeles wegbewegen – und das idyllische Palm Springs liegt genau innerhalb dieser Marke. Inzwischen haben die Stadt und ihr Umland noch einen weiteren Trumpf: die Kunst. Das Festival Desert X, parallel zum Coachella-Festival stattfindend, allerdings schon im März beginnend, setzt auf expressive Land-Art in der Wüste. Es reichert die Landschaft mit Kunstwerken an und bringt umgekehrt die Kunst vor den weissen Sandflächen und den Gebirgen zu einem neuen, eigentümlichen Leuchten. «Wir wollen Mensch und Natur, Kultur und Wüste in einem spannungsreichen Dialog kurzschliessen», sagt der künstlerische Leiter Neville Wakefield, der sich unter anderem als Kurator am PS1 in New York einen Namen gemacht hat, aber auch weltweit mit innovativen Ideen unterwegs ist. «Vor allem geht es darum, der Kunst neue Fans zu gewinnen – auch Menschen, die Scheu haben, ins Museum zu gehen und die Welt der ‹white cubes› zu betreten, vielleicht weil sie fürchten, dass sie nichts von Kunst verstehen.» Der Zug wird Teil des Kunstwerks Berührungsängste gibt es in der Wüste des Coachella Valley keine. So stösst man auf rätselhafte, überirdisch schöne Gebilde wie die Installation «Chainlink» von Rana Begum, die aus banalem und zugleich abweisendem Material hergestellt ist: goldgelbem Maschendraht. Daraus schafft die Künstlerin ein Labyrinth, das aus der Ferne wie ein Diamant strahlt, aber auch tiefere Fragen aufwirft nach der Funktion von Zäunen zwischen Abgrenzung und Durchlässigkeit. «Es geht uns nicht nur um Ästhetik, sondern um die grossen Themen Ökologie, Freiheit, Gerechtigkeit, inklusive einer Überprüfung der Geschichte», sagt die Desert-X-Gründerin Susan L. Davis. Sie hat dieses Projekt mit ein paar Gleichgesinnten aus dem Wüstensand gestampft – ohne grosses Budget, ohne jede Unterstützung durch den Staat oder grosse Unternehmen. Die Veranstaltung ist nicht gewinnorientiert und gratis für alle. Als ein Stück Selbstermächtigung ist es das genaue Gegenstück zur egomanischen Geldmaschine Coachella.
Zwischen Highway und Eisenbahnschienen stossen wir auf einen Haufen übereinandergestülpter Container. Mit «Sleeping Figure» will der Künstler Matt Johnson an die Unterbrechung der internationalen Handelsströme in der Corona-Zeit erinnern. Das wirkt besonders eindrücklich, wenn im Hintergrund einer jener kilometerlangen Züge vorüberrollt, mit denen Amerika seine Güter über Land schickt. Dann wird die Bahn als Performance zu einem Teil des Kunstwerks. Am Stadtrand von Palm Springs begegnet uns die phantastische Arbeit von Gerald Clarke, einem Angehörigen der Cahuilla Natives, die das Tal beherrschten, bevor es ihnen von Siedlern streitig gemacht wurde. Die Cahuilla zählen heute zu den reichsten Gruppen der amerikanischen Ureinwohner. Sie erstritten ihr Land vor dem Supreme Court teilweise zurück und verdienen heute viel Geld durch Verpachtung. Rund vierzig Prozent von Palm Springs gehören ihnen. Dennoch ist die Situation der meisten First Americans bekanntermassen katastrophal. «Ich will, dass meine Landsleute endlich mehr über uns erfahren, der durchschnittliche US-Bürger hat null Kenntnisse von meinem Volk», sagt Gerald Clarke, der auch Professor an der University of California ist. Er hat ein Kartenspiel entwickelt, auf dem Fragen zur Lage der Urbevölkerung gestellt und Fakten vermittelt werden. Die Antworten führen dann über ein überdimensioniertes Brettspiel von etwa vierzig Metern Durchmesser, es entspricht dem Muster der traditionellen Cahuilla-Körbe. «Die Wüste», betont Gerald Clarke, «ist nicht leer – im Gegensatz zu dem, was viele glauben.» In der Wüste, so lautet ein alter Topos, kann man sich verlieren oder zu sich selber finden. Kalifornien, schreibt Jean Baudrillard, sei immer schon das Versuchsfeld der Kultur gewesen: «Denn die Wüste ist nur das eine: eine ekstatische Kritik der Kultur, eine ekstatische Form des Verschwindens.» Dafür, für den Selbstverlust im digitalen Nirwana, steht Coachella. Doch für sein Gegenteil Desert X. Letzteres ist Kunstreligion, Andacht und Respekt, dazu Diskussionsforum in einem.
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Matt Johnson Sleeping Figure Coachella Valley Music and Arts Festival Indio California 2023 |
https://img.nzz.ch/2023/05/10/9903abf8-487c-4253-9744-0066 In: https://www.nzz.ch/feuilleton/coachella-mekka-der-pop-musik-in-der-suedkalifornischen-wueste-ld.1737085 |
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Paul Andreas |
Eine Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf beleuchtet das Potenzial der Container-Architektur
Frachtcontainer sind auf Strassen und Schiffen allgegenwärtiges Zeichen der globalen Ökonomie. Wie sehr ihre Eigenschaften mittlerweile auch Architekten und Designer zu Entwürfen inspirieren, beweist eine Ausstellung in Düsseldorf. Zwischen Bahntrassee und Hochstrasse inmitten eines Lagerareals ragt seit einigen Jahren im Zürcher Westen der Flagship Store der Firma Freitag in den Himmel. Das für seine Taschen aus ausgedienten LKW-Planen, Reifenschläuchen und Sicherheitsgurten bekannte Schweizer Unternehmen liess sich von den Zürcher Architekten Spillmann Echsle ein Verkaufs- und Lagergebäude aufstellen, das aus neunzehn übereinandergestapelten Schiffscontainern besteht. Zumindest äusserlich wurden die rostigen Behälter so belassen, wie man sie aus dem Güterverkehr entliess – für ein Unternehmen, das sich mit dem Verwandlungsrecycling von Substraten der Logistikbranche befasst, ein gelungenes Stück Branding-Architektur. So unsicher die Zukunft des ikonischen Gebäudes aussieht – 2018 läuft die Genehmigung für die temporäre Nutzung des Areals aus –, so sicher dürfte ihm ein Platz in den Annalen der Container-Architektur sein. Baukünstlerische Optionen In der Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf ist der Freitag-Store jedenfalls eines von über zwanzig Leuchtturmprojekten, die im Massstab 1:5 als Grossmodell präsentiert werden. Dabei darf der neun Container hohe Aussichtsturm des Zürcher Container-Hochhauses sogar die fünf Meter hohe Decke des NRW-Forums durchstossen. Die Schau präsentiert das Phänomen Container-Architektur spielerisch als eine Sammlung der Ideen. Auf einem umlaufenden Wandfries sind mehr als 140 realisierte Bauten, Entwürfe, Ideen von Architekten, Designern und Künstlern zu sehen. Dass sich der Container in den letzten zehn Jahren zunehmender Popularität unter Planern erfreut, hat triftige Gründe: Der 1956 erstmals von seinem Erfinder Malcolm McLaren verschiffte Transportbehälter ist inzwischen mit weltweit 30 Millionen Stück überall verfügbar. Um eine optimale Transportierbarkeit zu gewährleisten, ist er hochgradig standardisiert: Der ISO-Container ist entsprechend der Strassenverkehrsordnung 2,44 Meter breit, 2,59 Meter hoch und 20 oder 40 Fuss lang. Ausserdem ist er wegen seiner Stahlrahmenbauweise mit aussteifenden Trapezblechen sehr stabil und hat mit etwa 25 Jahren eine vergleichsweise hohe Lebenserwartung. Schliesslich ist da noch der geringe Anschaffungspreis: Ein fabrikneuer 20-Fuss-Frachtcontainer aus Stahl liegt bei etwa 3000 Dollar, ein ausrangierter ist auf dem Weltmarkt schon ab 800 Dollar zu bekommen. In einer Zeit, in der Architektur immer flexibler und nachhaltiger werden soll, stellt das Bauen mit zeitweise oder für immer ausrangierten Frachtcontainern zumindest eine interessante Option dar. Die architektonischen Positionen, das zeigt die Düsseldorfer Ausstellung deutlich, sind dabei nicht weniger mannigfaltig als sonst in der Architektur: Da gibt es die Puristen wie den niederländischen Architekten Han Slawik, der bereits in den 1980er Jahren die ersten Container-Projekte realisierte, die den Anspruch hatten, tatsächlich Architektur zu erschaffen und nicht nur anonyme Containerburgen, wie man sie von Baustellen und Schulhöfen kennt. Raumbildung und Ortsbewusstsein sind wichtige Stichworte seiner Projekte. Ausserdem prägte er den Begriff der «Containergerechtigkeit». Damit ist gemeint, dass der Container möglichst nur entsprechend seiner Bau- und Stapelweise eingesetzt werden soll. Zusätzliche Ertüchtigungen, die sich durch eine Herausnahme von Elementen oder eine unkonventionelle Stapelweise ergeben, gilt es zu vermeiden, nicht zuletzt um den Low-Budget-Charakter sicherzustellen. Es gibt einige Projekte in der Ausstellung, die diesen Ansatz aufgreifen: So nutzt Steve Gallant in Costa Rica alte Frachtcontainer als erdbebenresistente Kerne für Verandahäuser aus Recyclingholz um, während die niederländische Gruppe Sculp(it) auf einem als Gemeinschaftsraum genutzten Schiffsrumpf dreissig Container zu Studentenwohnungen mit Balkons und Aussenerschliessung in objektgerechter Ordnung übereinanderstapelt. Ausdrucksstarke Zeichen In einer globalen Gesellschaft, in der der Container immer allgegenwärtiger wird, ist er aber nicht mehr nur Baumaterial, sondern zeigt sich auch als expressives Zeichen. Spürbar wird das in spektakulären Showrooms wie der Puma-City des New Yorker Architekturbüros LOT/EK. Indem es die konventionelle Stapelordnung aufbricht und mit Auskragungen und offenen Zwischenräumen arbeitet, schafft es weite Durchsichten. Ausdrucksstark sind auch die Container-Projekte des Berliner Büros Graft, etwa sein Prototyp einer Notunterkunft für Überlebende des Hurrikans «Katrina». Hier wird ein Container schräg über zwei andere gelagert, als sei tatsächlich etwas aus dem Lot geraten. Ein poetisches Zeichen setzt der Aussichtsturm von Mésarchitectures aus Paris: Zwei entkleidete, mit Holz bzw. Streckmetall ausstaffierte Containerrahmen werden zu gegenläufig gerichteten Teeräumen umgedeutet, in denen man über die Weite der koreanischen Westküste blickt. Ähnlich verfährt der belgische Architekt und Künstler Luc Deleu in seinen Monumenten, die den Container aus seinem lagernden Schwerpunkt herauslocken und damit im übertragenen Sinne auch die Prinzipien globaler Ökonomie in Frage stellen. Offene Fragen Die Schau widmet sich anhand von mehreren Vorschlägen auch dem Einzelcontainer und demonstriert, wie man durch Ausklappungen und -faltungen ein Höchstmass an Nutzungsraum und -komfort schaffen kann. Neben vielen Wochenend- und Minihäusern gibt es auch einige Projekte zu mobilen Notunterkünften zu sehen: etwa Sean Godsells «Future Shack». Der Australier bringt nicht nur die Grundausstattung in einem 20-Fuss-Container unter, sondern auch ein grosses Photovoltaik-Satteldach, das zur energetischen Selbstversorgung ausgeklappt werden kann. Wenn aus einzelnen Containern grössere und zugleich flexible Verbände entstehen, ist man schnell bei kleinen Plug-in Cities, wie sie schon von den japanischen Metabolisten und Archigram in den 1960er Jahren erträumt wurden. Auch davon gibt es einige Projekte in der Ausstellung zu sehen, allerdings bleiben bei allen klugen Überlegungen zu individueller Ausstattung und globaler Mobilität viele offene Fragen hinsichtlich der Praktikabilität und nicht zuletzt auch der städtebaulichen Dimension dieser Ideen. Am Ende des Ausstellungsrundganges versteht man dann auch besser, warum Architekten wie Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf jeden Eingriff in die Struktur des Containers ablehnen. Seine mobile Notfallstation verzichtet auf jegliche Ein-, An- oder Umbauten, wissend, dass der Container immer noch da am besten seinen Zweck erfüllt, wo er nicht als Behausung, sondern als Transportmittel unterwegs ist. Bis 4. September im NRW-Forum Düsseldorf. Katalog: Container-Architektur. Hrsg.: NRW-Forum. Düsseldorf 2011. 336 S., € 33.–. |
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Michael Johansson Self Contained 2010 |
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Spielmann Echsel Freitag Shop Zurich 2006 |
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