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Vermeer VI
(TiananmenMan)
2018

 
Vermeer VI (TiananmenMan)

Walter Stach

DE EN

 
       
red, ORF.at/Agenturen
Weitere Tiananmen-Denkmäler entfernt
ORF.at
24.12.2021
 

Zwei weitere Universitäten in Hongkong haben am Freitag Denkmäler zur Erinnerung an die Tiananmen-Proteste von 1989 in Peking entfernt. Die Universitäten führten „rechtliche und sicherheitstechnische Risiken” als Gründe an. Am Donnerstag war bereits ein 1997 aufgestelltes Denkmal entfernt worden. Bisher war in Hongkong das Gedenken an die blutigen Studentenproteste 1989 in Peking erlaubt.

Die 6,4 Meter hohe Bronzestatue „Göttin der Demokratie” an der Chinesischen Universität, die eine Flamme in die Höhe hält, wurde kurz vor Sonnenaufgang weggebracht. Sie war laut Angaben der Universität nicht genehmigt. „Nach einer internen Bewertung und als Verwalter des Universitätsgeländes hat die CUHK die Statue entfernt”, heißt es in einer Erklärung der Chinese University of Hong Kong (CUHK).

Die Skulptur des Künstlers Chen Weiming war eine Nachbildung einer riesigen Statue, die Studenten auf dem Tiananmen-Platz errichtet hatten. Für Hongkongs Demokratiebewegung ist die „Göttin der Demokratie” ein wichtiges Symbol.

Die Statue wurde im Morgengrauen entfernt. APA/AFP/Daniel Suen/Bertha Wang
Die Statue wurde im Morgengrauen entfernt
APA/AFP/Daniel Suen/Bertha Wang

Ungefähr zur selben Zeit ließ die Lingnan University of Hong Kong eine ebenfalls von Chen geschaffene Reliefstatue entfernen und eine Wand mit einem Bild der „Göttin der Demokratie” übermalen. Die Universität erklärte in einer E-Mail an Reuters, dass Gegenstände, die „rechtliche und sicherheitstechnische Risiken” darstellen könnten, geräumt oder entfernt und entsprechend gelagert worden seien.

„Bedauern und Wut” bei Chen

Der in den USA lebende Chen äußerte „Bedauern und Wut” über die Entfernung seiner Werke. Das Verhalten der Hongkonger Universitäten sei „illegal und unvernünftig”. „Sie haben sich wie ein Dieb in der Nacht verhalten”, sagte Chen gegenüber AFP. „Das war das Gegenteil von sauber und ehrlich.” Er werde die Universitäten klagen, falls seine Werke beschädigt würden, sagte er gegenüber Reuters.

Freitagnachmittag wurden auf dem Campus der Lingnan University Flugblätter mit dem chinesischen Schriftzeichen für „Schande” gesichtet. Zwei junge Frauen, die sich als ehemalige Studentinnen vorstellen, bekannten sich dazu, die Flugblätter aufgehängt zu haben. „Sie löschen die Geschichte aus. Ich möchte nicht gezwungen werden zu vergessen”, sagte eine der Frauen.

Die Werke sollten an die blutigen Studentenproteste in Peking 1989 erinnern. AP/Kin Cheung
Die Werke sollten an die blutigen Studenten-
proteste in Peking 1989 erinnern
AP/Kin Cheung


Gedenken an Studentenproteste bisher erlaubt

In der Nacht zum Donnerstag hatten Behörden bereits eine Statue zum Gedenken an die Opfer auf dem Pekinger Tiananmen-Platz an der Hong Kong University (HKU) entfernt. Die „Säule der Schande” erinnerte an die gewaltsame Niederschlagung der Demokratieproteste in Peking 1989. Das Kunstwerk stand seit 1997, als die frühere britische Kronkolonie Hongkong an China zurückgegeben wurde, auf dem Campus der HKU.

Die „Säule der Schande“ wurde bereits 1997 aufgestellt. AP/The Initium Media/Lam Chun Tung
Die „Säule der Schande“ wurde bereits 1997
aufgestellt
AP/The Initium Media/Lam Chun Tung

https://orf.at/stories/3241361/
Aufruf: 24.12.2021

 
       
red, ORF.at/Agenturen
Statue zum Gedenken an Tiananmen in Hongkong entfernt
ORF.at
23.12.2021
 

In Hongkong ist ein wichtiges Symbol der Demokratiebewegung entfernt worden. In einer nächtlichen Aktion ließ die älteste Hochschule der Metropole, die Hong Kong University (HKU), heute eine Statue zum Gedenken an die Opfer der blutigen Zerschlagung der Tiananmen-Proteste 1989 abbauen. Demokratieaktivisten verurteilten das Vorgehen der Universität scharf.

[...]

Arbeiter bauten die von dem dänischen Künstler Jens Galschiot erbaute „Säule der Schande” unter den Augen von Wachpersonal ab. Die Wachleute hinderten Medienleute daran, sich der Statue zu nähern und versuchten, sie am Filmen zu hindern. Reportern gelang es dennoch, Aufnahmen davon zu machen, wie die Statue in mehrere Teile zerlegt und in einen Container verfrachtet wurde.

Tienanmen-Statue in Hongkong. APA/AFP/Dale De La Rey
Tienanmen-Statue in Hongkong
APA/AFP/Dale De La Rey


Verhetzungsparagraf in Anwendung

Die Entscheidung zur Entfernung der „veralteten” Statue basiere auf „einer externen Rechtsberatung und einer Risikobewertung im Interesse der Universität”, teilte die HKU mit. Die Universität verwies auch auf ein noch aus der Kolonialzeit stammendes Gesetz, das unter anderem den Straftatbestand der „Verhetzung” enthält.

Ähnlich wie das im vergangenen Jahr durch Peking erlassene Sicherheitsgesetz kommt der Verhetzungsparagraf seit einiger Zeit immer häufiger in Strafverfahren gegen Dissidenten zur Anwendung.

Der frühere Studentenführer Wang Dan, der nach der Zerschlagung der Tiananmen-Proteste inhaftiert worden war und inzwischen in den USA lebt, wertete die Entfernung der Statue als Angriff auf die Freiheit des Gedenkens. „Sie nutzen diese Niederträchtigkeit, um das blutbefleckte Kapitel der Geschichte auszulöschen”, schrieb er auf Facebook.

https://orf.at/stories/3241245/
Aufruf: 23.12.2021

 
       
Philipp Meier
In Hongkong soll ein Kunstwerk verschwinden, das an das Tiananmen-Massaker erinnert
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
20.10.2021
 

Chinas Kulturpolitik wird immer repressiver. Das bedeutet für Uli Siggs Sammlung und die Kunstszene der Stadt nichts Gutes.

Am 11. November 2021 wird Hongkongs neues kulturelles Prestigeobjekt eröffnet, das Kunstmuseum M+ Museum im West Kowloon Cultural District. Winson Wong / Imago
Am 11. November wird Hongkongs neues
kulturelles Prestigeobjekt eröffnet, das
Kunstmuseum M+ Museum im West Kowloon
Cultural District. Winson Wong / Imago


Vor zwei Jahren war alles noch etwas anders in Hongkong. Ein paar Ausstellungsräume der neuen Kunsthalle Tai Kwun Contemporary waren mit Trigger-Warnungen versehen. Der vornehme Hong Kong Jockey Club, dem die Anlage im Herzen von Hong Kong Island gehört, distanzierte sich in gutenglischer Manier von einigen explizit pornografischen Inhalten. Die Stadt selber hatte aber kein Problem mit der Ausstellung „The Violence of Gender”.

Die Schau unter der Leitung des Chefkurators Tobias Berger zu struktureller Gewalt von Sexualität und Geschlechtsidentität fand viel Beachtung insbesondere auch bei den Touristen vom chinesischen Festland, die regelmässig in Scharen nach Hongkong pilgern. Diese kamen bisher nicht nur des Shoppings wegen, sondern eben auch, um ein bisschen von der Luft der Kunstfreiheit zu schnuppern.

Mit Tai Kwun Contemporary, einem der inspirierendsten öffentlichen Kunstorte Asiens, erhielt Hongkong einen wichtigen Gegenpol zu den vornehmlich kommerziellen Einrichtungen für Kunst in der Stadt. Denn das asiatische Finanzzentrum am Perlfluss galt lange vor allem als Schauplatz des internationalen Kunsthandels, seit dort die Art Basel mit einer Tochtermesse Fuss gefasst hatte. Der Messe folgten die global renommiertesten Galerien, darunter auch die Schweizer Galerie Hauser & Wirth.

Bis mit Uli Sigg eine wichtige Wende kam. Der Schweizer Sammler setzte mit seinem Engagement für die Kunst ebenfalls auf Hongkong: 2012 schenkte er der Stadt einen Grossteil seiner Sammlung chinesischer Gegenwartskunst, die nun im neuen Museum M+ für den Hauptbestand sorgt. Spätestens mit diesem Museum, das nun am 11. November eröffnet wird, ist Hongkong den Ruf eines rein kommerziellen Umschlagplatzes für Kunst losgeworden.

Die Hongkonger Kunstszene selber war zwar klein, rückte aber mit der Möglichkeit, an der Art Basel einen Auftritt zu erhalten und von den neuen Galerien entdeckt zu werden, immer mehr ins Rampenlicht einer breiteren internationalen Öffentlichkeit. Es war ein Frühlingserwachen, dieses dauerte aber nicht lange.

Vorauseilender Gehorsam

„Ein Land, zwei Systeme” – diese Regel in der chinesischen Sonderverwaltungszone, die auch der Kunst ihre Freiheit garantierte, gehört der Vergangenheit an. Mit dem sogenannten Sicherheitsgesetz nämlich, das Festlandchina über die Köpfe der Hongkonger Regierung hinweg implementierte, grassiert nun die Selbstzensur. Und das ist Gift für jede freie Kunstszene.

Hongkonger Künstler hüten sich heute, die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf sich zu ziehen. Einige haben die Stadt verlassen. Vorauseilenden Gehorsam üben nun aber bereits auch die Hongkonger Institutionen. So im Fall eines Kunstwerks auf dem Universitäts-Campus, das nicht einmal von einem Hongkonger Künstler stammt. Geschaffen wurde die acht Meter hohe Skulptur mit dem Titel „Säule der Schande” vom dänischen Künstler Jens Galschiøt. Das Kunstwerk erinnert an die Opfer der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 in China. Nun soll es entfernt werden.

Die Universität von Hongkong will das Kunstwerk möglichst schnell loswerden. Die Skulptur steht seit 1997 auf dem Universitätsgelände und gehört der Hongkonger Allianz zur Unterstützung patriotischer demokratischer Bewegungen in China. Angesichts des repressiven Klimas in Hongkong hat sich diese Vereinigung nun aber bereits aufgelöst. Ihre führenden Mitglieder sind in Haft. Grund für die Festnahme: Subversion und illegale Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften.

Dabei sei die Skulptur gar kein politisches Kunstwerk, sagt der Künstler selber. Es handle sich um ein Denkmal für die Menschen, die beim Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking ums Leben gekommen sind. „Das ist keine politische Skulptur. Das ist eine Skulptur für Menschen, die tot sind”, lässt sich Jens Galschiøt in den Medien zitieren.

Allerdings steht mit dieser Skulptur in Hongkong das einzige Mahnmal Chinas zur Erinnerung an das Tiananmen-Massaker vor über dreissig Jahren. Und daran soll eigentlich gar nichts mehr erinnern, wenn es nach der chinesischen Regierung geht. Das Ereignis wurde aus Chinas offizieller Geschichtsschreibung getilgt.

Die acht Meter hohe «Säule der Schande» ist gemäss dem dänischen Künstler Jens Galschiøt ein Denkmal für die während des Tiananmen-Massakers am 4. Juni 1989 in Peking getöteten Menschen. Tyrone Siu / Reuters
Die acht Meter hohe «Säule der Schande» ist
gemäss dem dänischen Künstler Jens Galschiøt
ein Denkmal für die während des Tiananmen-
Massakers am 4. Juni 1989 in Peking getöteten
Menschen. Tyrone Siu / Reuters

Jens Galschiøts „Säule der Schande” bewirkt nun aber genau das Gegenteil. Zuvor hatte kaum jemand ausserhalb von Hongkongs universitärem Umfeld von dieser Skulptur Notiz genommen. Nun sorgt sie international für Schlagzeilen. Die Selbstzensur entfaltete eine Eigendynamik, die ihr nun diametral entgegenwirkt. Einige Hongkonger sollen bereits 3-D-Scans der Skulptur in kleinerem Massstab angefertigt haben, um sie als Street-Art an verschiedenen Plätzen Hongkongs zu fotografieren.

Solch subtile Kritik mittels Kunst hat eine lange Tradition in Chinas Kunstgeschichte. Markantestes Beispiel in Malerei und Poesie ist das Motiv der „Roten Wand”. So wird ein Felsen im Jangtse-Fluss genannt, an dem im Jahr 208 n. Chr. der Usurpator Cao Cao in einer Seeschlacht entscheidend geschlagen wurde. Die Rote Wand wurde von Poeten besungen und von Malern zum Sujet gemacht als Anspielung auf das Schicksal jener, die die Weltanschauungen der Obrigkeit nicht teilen.

So auch von Su Dongpo, der für die Jahre 1080–84 ins Exil verbannt wurde, weil er sich in seinen satirischen Gedichten kritisch zur Politik des Song-Kaiserhofs äusserte. Auch bekannt unter seinem Dichternamen Su Shi, wurde Su Dongpo mehrmals in der chinesischen Geschichte als Verräter verurteilt und wieder rehabilitiert.

Willkür der Staatsmacht

Die Willkür der Staatsmacht kann letztlich in allem eine ihr feindliche Haltung entdecken. So ist dies auch bereits geschehen im Fall des in China als Persona non grata geltenden Starkünstlers Ai Weiwei: Eines seiner Werke in der Sammlung Uli Sigg hat dazu geführt, dass diese in Hongkong zwischen die politischen Fronten geraten ist.

Künstler wie Ai würden den Hass auf das Festland schüren, lautet der Vorwurf von Hongkonger Politikern. Im Fokus steht Ai Weiweis 1997 entstandene Fotografie „Study of Perspective: Tian’anmen”, auf der Ai seinen Mittelfinger in Richtung des Tors des Himmlischen Friedens ausstreckt. Ausser acht blieb dabei, dass die Foto zu einer Serie gehört, in der der Künstler seinen Protest auch gegen andere Machtzentren der Welt wie etwa das Weisse Haus in Washington, den Reichstag in Berlin oder selbst das Bundeshaus in Bern richtet. Jedenfalls ist man vorsichtig geworden im M+-Museum: An der Eröffnungsausstellung soll Ai Weiweis inkriminiertes Werk nicht zu sehen sein.

In Sachen Kunst wird alles zur Gratwanderung in Hongkong. Obwohl China kein Interesse daran haben kann, Asiens neuen Kunst-Hub wieder abzuwürgen, weiss letztlich nur die Regierung in Peking, wo genau die rote Linie verläuft. Und es ist zu vermuten, dass diese Haltung sogar Teil einer Strategie ist. So dürfte auch an der Art Basel im kommenden März längst nicht mehr so sicher sein, was eigentlich noch gezeigt werden soll und was eher nicht.

Bereits ein dort ausgestelltes Bild jedenfalls, auf dem sich ein Künstler etwa mit der Figur Winnie the Pooh beschäftigt, könnte nämlich die Zensur auf den Plan rufen. Mit dem putzigen Bilderbuch-Bären wurde in humoristischer Weise auch schon Xi Jinping verglichen. Darauf wurde in China sogar der Hollywoodfilm „Christopher Robin”, worin Pu der Bär eine Hauptrolle spielt, verboten.

Chinas Vorgehen gegen die Kunstfreiheit hat längst auch seinen eigenen Banksy hervorgebracht. Der chinesische Street-Art-Künstler unter dem Pseudonym Badiucao fordert mit seinen Werken seit Jahren das chinesische Regime heraus. In China sind seine Karikaturen und Zeichnungen im Internet geblockt, sein Weibo-Account gesperrt, Ausstellungen sind verboten.

Badiucao aber ist nach Australien ausgewandert, von wo aus er seine Kritik übt. Politisiert wurde Badiucao durch Zufall, als er 2007, noch in Schanghai wohnhaft, im Internet auf eine ausländische Dokumentation zum Tiananmen-Massaker gestossen war. Seitdem kratzt er am Lack der KP Chinas. Seine Themen sind der Handelskrieg mit den USA, die wachsende Einflussnahme Chinas in Australien, die digitale Zensur oder auch die Proteste in Hongkong.

Auf Druck der Behörden, die in Festlandchina seine Familie zu bedrohen begannen, sah sich Badiucao übrigens erst kürzlich gezwungen, eine Ausstellung abzusagen. Es wäre die erste gewesen, die auf chinesischem Territorium hätte stattfinden sollen: nämlich in Hongkong.

https://www.nzz.ch/feuilleton/in-hongkong-soll-ein-kunstwerk-verschwinden-das-an-das-tiananmen-massaker-erinnert-ld.1650530
Aufruf: 20.10.2021

 
       
Patrick Zoll
Peking kann den Hongkongern keine geschichtliche Amnesie verordnen
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
05.06.2021
 

Trotz der Androhung schwerer Strafen haben in Hongkong viele Menschen des Tiananmen-Massakers gedacht. Das zeigt, dass sie weiter bereit sind, für demokratische Ideale einzustehen.

Eine Demonstrantin hält am 4. Juni 2020 eine Kerze.
Das jährliche Gedenken an das Massaker von
Tiananmen ist auch ein Symbol für Hongkongs
Sonderstatus und die bisher weit freieren
Möglichkeiten der Meinungsäusserung als
auf dem Festland. Eine Demonstrantin hält
am 4. Juni 2020 eine Kerze. Sam Tsang


Jedes Jahr versammeln sich am 4. Juni in Hongkong Menschen, um des Massakers rund um den Tiananmen-Platz in Peking von 1989 zu gedenken. Damals liessen die kommunistischen Machthaber Panzer auffahren und Soldaten auf friedliche Demonstranten schiessen, die demokratische Reformen der Volksrepublik forderten. Hunderte, wenn nicht Tausende kamen ums Leben. Unter ihnen viele junge Menschen.

Das wahre Ausmass versucht das Regime in Peking seither zu vertuschen, das Geschehene um jeden Preis vergessen zu machen.

Das Bild des einzelnen Demonstranten, der sich der anrollenden Staatsmacht entgegenstellt, wird später zur Ikone.
Im Frühling 1989 protestieren Studenten und
Bürger tagelang auf dem Tiananmen-Platz in Peking
– bis die chinesische Staatsgewalt die Proteste am
3. und 4. Juni 1989 brutal niederschlägt. Selbst 30
Jahre später fehlt es an einer angemessenen
Erinnerungskultur, kritische Fragen dazu sind tabu.
Das Bild des einzelnen Demonstranten, der sich
der anrollenden Staatsmacht entgegenstellt,
wird später zur Ikone. (Bild: Jeff Widener / AP)

Die grosse Ausnahme ist bisher die Sonderverwaltungsregion Hongkong gewesen. Der zentrale Versammlungsort für das alljährliche Gedenken war der Victoria Park. Auch dieses Jahr standen dort Hunderte von Personen, allerdings alle in blauen Uniformen – Polizisten, die den Park abriegelten. Sie versuchten, das öffentliche Gedenken zu unterbinden.

Ein gefährlicheres Virus als Corona

Die Polizisten sollten die Szenen des letzten Jahres verhindern, als sich nach Einbruch der Dunkelheit der Park in ein Lichtermeer verwandelte. Damals hatten die Hongkonger Behörden erstmals in den 31 Jahren seit dem Massaker das Gedenken verboten, angeblich wegen der Gefahr des Coronavirus. Trotzdem kamen Tausende.

Im Gedenken an die Opfer des Tiananmen-Massakers versammelten sich jeweils Tausende mit Kerzen im Hongkonger Victoria Park. Hier am 4. Juni 2018.
Im Gedenken an die Opfer des Tiananmen-
Massakers versammelten sich jeweils Tausende
mit Kerzen im Hongkonger Victoria Park.
Hier am 4. Juni 2018. Bobby Yip / Reuters

Auch dieses Jahr benutzten die Behörden das Coronavirus als Vorwand, um die Kundgebung zu verbieten – obwohl die Gesundheitsbehörden am Donnerstag nur einen einzigen neuen Fall gemeldet hatten. In Tat und Wahrheit kämpfen die Handlanger Pekings in der Hongkonger Regierung gegen ein anderes Virus, das sie viel mehr fürchten: jenes der Erinnerung und des freien Denkens.

Auf dem chinesischen Festland sind Veranstaltungen zum Gedenken an die blutige Niederschlagung des Volksaufstands von 1989 verboten. Wer in der Volksrepublik aufwächst, erfährt im Schulunterricht nie davon. Das soll künftig offenbar auch in Hongkong so sein. Der Hongkonger Bildungsminister hat erst vor wenigen Tagen die Lehrerinnen und Lehrer daran erinnert, dass sie in ihrem Unterricht das Gesetz über die nationale Sicherheit berücksichtigen müssen.

Das Gesetz stellt Subversion, Sezession, Terrorismus und «Kollusion mit ausländischen Kräften» unter langjährige Gefängnisstrafen. In dem knappen Jahr seit der Verabschiedung des Gesetzes durch den chinesischen Nationalkongress sind dessen Auswirkungen immer deutlicher geworden: Die Behörden entscheiden, was unter Subversion fällt – dazu kann alles zählen, was der offiziellen Darstellung widerspricht. Ein Reizthema wie Tiananmen erst recht.

Gedenken verteilt über die Stadt

Wer am Freitag an einer unbewilligten Gedenkveranstaltung teilnahm, riskierte bis zu fünf Jahre Haft. Dennoch, so zeigt ein Überblick der Hongkonger Zeitung «South China Morning Post», setzten sich viele Menschen über das Verbot hinweg. In kleinen Gruppen hielten sie verteilt über die Stadt brennende Kerzen oder ihre leuchtenden Handys in die Höhe. In mehreren Kirchen gab es Gedenkgottesdienste.

Trotz der stetig wachsenden Repression halten viele Menschen in Hongkong also am jährlichen Gedenken an die Toten des Tiananmen-Massakers fest. Denn diese öffentliche Erinnerung ist Teil der Hongkonger Identität geworden. Dieses Jahr war der 4. Juni ein Test dafür, ob die Menschen bereit sind, weiter für demokratische Ideale zu kämpfen, nachdem es den Behörden gelungen ist, die Demokratiebewegung fast vollständig zu ersticken. Die Antwort ist Ja.

Die historische Amnesie, welche die Kommunistische Partei auf dem Festland verordnet hat, lässt sich einer Bevölkerung, die viele Freiheiten gewohnt ist, nicht so einfach überstülpen. Viele Hongkongerinnen und Hongkonger lassen sich die freie Meinungsäusserung nicht so schnell nehmen. Die Machthaber in Peking und ihre ausführenden Organe in Hongkong können drakonische Gesetze erlassen, Versammlungen verbieten, die lokalen Wahlen zur Farce machen, Andersdenkende einsperren – die Köpfe der Einwohner der Stadt können sie nicht umprogrammieren.

https://www.nzz.ch/meinung/hongkong-laesst-sich-nicht-geschichtliche-amnesie-verordnen-ld.1628758?reduced=true
Aufruf: 05.06.2021

 

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