Vermeer IV |
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Peter Rásonyi, London |
Mit dem Tod des 60-jährigen Abdelbasset al-Megrahi am vergangenen Wochenende sind die Spekulationen und der Ärger über die Umstände noch einmal entfacht worden, unter denen der Libyer im Sommer 2009 aus dem schottischen Gefängnis in seine Heimat gelangt war. Der schottische Justizminister hatte den 2001 wegen des Bombenanschlags auf eine Pan-Am-Maschine über dem Ort Lockerbie zu lebenslanger Haft verurteilten Libyer aus humanitären Gründen freigelassen, weil er wegen einer Krebserkrankung angeblich nur noch drei Monate zu leben habe. Daraus sind fast drei Jahre geworden. Wie konnte die schottische Regierung so irren? Einer der Ärzte, die damals Gutachten über Megrahis Krankheit schrieben und die Lebenserwartung auf drei Monate schätzten, hat in einem Beitrag für das «Wall Street Journal» einen Hinweis gegeben. Er wies alle Verschwörungstheorien zurück und erklärte schlicht, Megrahi habe in Libyen wohl eine erstklassige medizinische Versorgung erhalten – die in Schottland vom Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) nicht erbracht werde. So werde das in den USA als Standardtherapie gegen Prostatakrebs verwendete Medikament Docetaxel in Schottland aus Kostengründen nicht verabreicht, ganz zu schweigen von neuesten Medikamenten. Unter besten Bedingungen sei es keineswegs ungewöhnlich, dass Megrahi länger lebte; ausserdem seien solche Prognosen immer sehr unsicher. In Grossbritannien ist es ganz natürlich, die eigenen Standards zur Weltspitze zu erklären. Möglicherweise ist auch die schottische Regierung dieser Routine verfallen und hat die spezifischen Schwächen des NHS übersehen. Allerdings passte die bereitwillige Akzeptanz der Fehlprognose nur zu gut in die Interessenlage der Regierung. Unter dem Druck der britischen Erdölindustrie, der Londoner Regierung und des laufenden Revisionsverfahrens über die zweifelhafte Verurteilung Megrahis kam ihr dessen rasche Abschiebung nur zu gelegen. Wenn das auch noch unter dem Deckmantel der Menschlichkeit ging, schien ihr das wohl umso besser. http://www.nzz.ch/aktuell/international/die-wunder-der-libyschen-medizin-1.17021348 |
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